Happy Digitals
Digitales Berlin Tegel – Dauerprojekte, die am Ende keiner nutzt
Klar hat Herr Mayer eine Digitalisierungsoffensive in seinem Unternehmen. Diese läuft bereits seit Jahren. Alle Firmen digitalisieren, dem kann und will man sich schließlich nicht entziehen. Warum auch? Digitalisierung ist toll, spannend und macht einem das Leben leichter. Mehr Umsatz für das Unternehmen bei gleichzeitiger Arbeitserleichterung für die Mitarbeiter.
Nur wenn man Herrn Mayer so ins Gesicht blickt, während er diese Geschichte erzählt, kommen Zweifel auf. Er wirkt nicht wirklich überzeugt von dem, was er da sagt. Unzufriedenheit und sogar ein Hauch von Frust liegen in der Luft.
Aber warum nur, wenn Digitalisierung nur Vorteile bringt und Herr Mayer die Hebel bereits alle gestellt hat?
Er hat über die Jahre bereits mehrere Millionen Euro in die Digitalisierung seines Unternehmens investiert. Dabei floss das Geld vor allem in erprobte und sinnvoll integrierte Software-Lösungen. So könnte Herr Mayer seine Arbeitsprozesse effizient gestalten: Medienbrüche vermeiden, Papier sparen, Lieferzeiten verkürzen, Umsatzrendite steigern, Meetings produktiv vorbereiten und vieles mehr.
Er könnte, wenn seine Mitarbeiter nur mitziehen würden. Aber das tun sie nicht. Es geht nicht darum, dass seine Belegschaft auf die Barrikaden gehen würde. Es gibt keinen offensichtlichen Widerstand. Und genau das macht die Sache so unangenehm. Immer, wenn Herr Mayer seine Mitarbeiter in einem Ganggespräch auf eines seiner Digitalisierungsprojekte anspricht, dann gibt es stets positives Feedback. Alle Mitarbeiter finden Digitalisierung toll, aber die Umsetzung und Anwendung der teils teuer eingekauften Lösungen findet kaum oder teilweise gar nicht statt.
„Digitalisierung? Meine Kunden wollen so etwas nicht!“
Wenn Herr Mayer nachhakt, dann gibt es immer gute Gründe für den Widerstand. Den am häufigsten genannten kann er schon nicht mehr hören: „Meine Kunden wollen so etwas nicht!“
Da stellt sich die Frage, ob das tatsächlich so ist. Wollen Kunden wirklich keine digitalen Lösungen? (zur PwC-Studie „Customer Centricity – den Kunden im Visier“)
Diese Frage lässt sich recht einfach klären, indem wir einen Perspektivwechsel vornehmen. Schließlich sind wir ja selbst alle Kunden. Lehnen wir in unserem Konsumalltag digitale Lösungen in der Breite ab? Wohl weniger.
Alle Mitarbeiter sind schon digital… nur leider nicht bei der Arbeit
Vielmehr würde mich interessieren, wie digital Herr Mayers Belegschaft tatsächlich ist. (zum D21-DIGITAL-INDEX 2019/2020) Wieviel Prozent der Mitarbeiter warten wohl gerade auf ein Amazon Paket? Wahrscheinlich bezahlt noch heute ein Angestellter eine Rechnung per PayPal oder checkt zumindest seinen Kontostand online. Ganz bestimmt streamt ein anderer Musik oder verschickt ganz selbstverständlich eine WhatsApp, vielleicht kurz nachdem er bei Instagram ein Bild hochgeladen hat.
Wie kann es dann aber sein, dass diese scheinbar hoch digitalen Mitarbeiter die IT- & Cloud-Lösungen ausgerechnet im Arbeitsalltag vehement verweigern? Privat hingegen schwimmen sie regelrecht auf der digitalen Welle. Nun hat Herr Mayer genau das, was für ihn eine mittlere Katastrophe darstellt: Digitalisierungs-Insel-Projekte. Hier ein Projekt, dort ein Vorhaben. Alles begonnen, nichts wirklich genutzt. Viel Geld investiert, kein Nutzen gewonnen.
Warum also geraten Digitalisierungsprojekte in Unternehmen beinahe regelmäßig ins Stocken?
Digitalisierung privat ist nicht gleich Digitalisierung geschäftlich
In der Regel versäumen es Unternehmen, private von geschäftlicher Digitalisierung zu trennen und die unterschiedlichen Motivationen zu hinterfragen.
Wenn wir uns private Digitalisierung ansehen, dann merken wir schnell aus eigener Erfahrung wann, wo und warum wir digitale Lösungen einsetzen.
Private Digitalisierung dient unserer Komfortzone
Wenn wir zum Bespiel Musik oder Videos streamen, dann vor allem deswegen, weil es angenehm ist und unser Leben erleichtert. Kurz gesagt, wir weiten unsere private Komfortzone aus.
Und warum tun wir das so ungeniert? Weil dem Vorteil wenig offensichtliches Risiko entgegensteht. Datenschutz und Co. machen uns zwar skeptisch. Aber die Tatsache, dass wir ausgespäht werden könnten, hat vermeintlich wenige kurzfristig negative Konsequenzen, so dass es den meisten Menschen gelingt, diese zu verdrängen und ihre digitalen Medien zu genießen.
Geschäftliche Digitalisierung bringen wir mit unserer Existenzsicherung in Verbindung
Wenn wir allerdings unsere Arbeitsgrundlagen verändern sollen, dann hinterfragen wir viel tiefgreifender. Warum wir das tun wird deutlich, wenn wir klären, welche Bedeutung Arbeit für die Menschen grundsätzlich hat.
Es gibt viele Gründe warum, Menschen arbeiten gehen. Ein Hauptgrund ist für die meisten, sich darüber auch gesellschaftlich zu etablieren. Über die Zeit bilden sie ihre Arbeitsidentität heraus. Auf diese berufen sie sich. Das heißt, sie vertrauen mit der Zeit auf ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten. Sie wissen, dass sie damit ihr Geld verdienen können, um ihr Leben zu unterhalten.
Ändert sich nun diese Arbeitsgrundlage von heute auf morgen, müssen sich die Menschen plötzlich die Frage stellen, ob sie auch morgen noch unter den neuen Umständen performen können, um weiterhin ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Aus Sorge um die gewohnte Sicherheit übersehen viele dabei aber leider die Chancen, die all die verschiedenen Digitalisierungsmöglichkeiten langfristig mit sich bringen.
Sie blockieren und sind nur noch damit beschäftigt, den Status quo zu sichern. Denn schließlich hat der sich in der Vergangenheit bewährt und ausgereicht, um den Lebensstandard zu sicheren.
Erst Existenz schützen dann digitalisieren – das Reptiliengehirn schlägt zu
Leider liegt es in der Natur des Menschen, langfristige Konsequenzen zu unterschätzen. Individuen sind viel mehr damit beschäftigt, kurzfristige Risiken zu eliminieren, vor allem um ihre existentiellen Grundbedürfnisse zu beschützen. Darunter fallen leider auch hypothetische Risiken.
Zwar wissen wir, dass in der Realität 99% aller Horrorszenarien nie eintreten. Trotzdem bringen wir alle mehr oder weniger überdurchschnittlich viel Energie auf, um unser Absicherungsbedürfnis zu befriedigen. Die Angstzentrale in unserem Gehirn, das sogenannte limbische System, übernimmt dann die Kontrolle. Von dem Moment an wird es anspruchsvoll, denn in der Regel versagt jetzt die Ratio. Das liegt ganz einfach daran, dass sich das limbische System mit seinen evolutionsbiologischen Überlebensmodus skrupellos in den Vordergrund drängt.
Von außen betrachtet wirkt das Verhalten von Mitarbeitern in diesen Momenten, in denen sie von einem jahrtausendealten Programm gesteuert werden, teils befremdlich. Denn meist stimmen sie brav jeder Anweisung zu, äußern sich euphorisch über die Vorteile aller Digitalisierungsinitiativen, um dann doch wieder ihre analogen Arbeitsprozesse in gewohnter Manier zu bedienen. Diese Momente bergen erhebliches Konfliktpotential. Rein rational betrachtet erweckt dies nun den Eindruck, der Mitarbeiter handle nicht integer. Wenn man die Situation allerdings ganzheitlich betrachtet, werden das Verhalten und der Widerstand gegenüber Change nachvollziehbar. Dies wird offensichtlich, wenn man als Vorgesetzter die emotionale Perspektive seiner Mitarbeiter einnimmt. Dann lässt sich nämlich schnell erkennen, dass diesen die Digitalisierungsvorhaben keineswegs egal sind. Nein, ganz im Gegenteil, es entsteht ein Konflikt, bei dem beispielsweise Gedanken wie Arbeitsplatzrationalisierung durch Digitalisierung eine Rolle spielen.
Unsere Gehirne hinken hinterher
An dieser Stelle ist es wichtig, Partei für die Mitarbeiter zu ergreifen und ihr Verhalten nachzuvollziehen. Schließlich ist es das evolutionsbiologische Programm, das zu inneren Widerständen führt. Ein Programm, das jedem von uns innewohnt. Unverhältnismäßiges Absicherungsverhalten, das die meisten aus Stresssituationen kennen. In der Konsequenz lösen Situation, die vor Chancen strotzen, Angst und Abwehrt aus. Das liegt ganz einfach darin begründet, dass unser limbisches System, die Angstzentrale, den Unterschied nicht erkennen kann. Die gesellschaftlichen Entwicklungsschübe gehen mit einer Geschwindigkeit voran, mit der unsere evolutionäre Entwicklung nicht in gleichem Maße Schritt halten kann. Das zeigt sich vor allem in unserer Gegenwart sehr deutlich. Die Digitalisierung hat unsere Umwelt und damit auch unser Arbeitsumfeld quasi über Nacht verändert. Das führt dazu, dass uns für viele Situationen die Methoden und Werkzeuge fehlen, um Herausforderungen angemessen und souverän bewältigen zu können. Wenn wir uns selbstunwirksam und ohnmächtig fühlen, was wir in der Konsequenz sind, fallen wir in der Regel sofort in unser tief verankertes Urprogramm zurück. Das heißt, es geht uns in erster Linie darum, den Status quo zu schützen. Wir sind im Überlebensmodus und dieser sperrt den Entwicklungsmodus.
Digital Change Management – Innere Widerstände professionell auflösen und intrinsische Motivation erzeugen
Die digitale Transformation beginnt bei den Mitarbeitern. Es geht letztlich darum, seine Mitarbeiter zu verstehen und ihnen dabei zu helfen, neue Wege zu beschreiten. Es ist von höchster Bedeutung, in einem vertrauensvollen Umfeld eventuelle Befürchtungen auszusprechen und zu entkräften. Denn wenn die Belegschaft versteht, warum sie etwas tun soll und sie zugleich eine glaubhafte positive Perspektive sieht, dann erst entsteht Handlungsbereitschaft und Motivation. Vorausgesetzt, die gefragten Kompetenzen werden parallel entsprechend geschult.